Immer wieder begegne ich im Alltag psychiatrischen Diagnosen – einfach so, von Laien in den Raum geworfen und nur anhand weniger Merkmale festgemacht. Selbstverständlich wird dies dann auch felsenfest behauptet und Widerworte wild diskutiert. Ein schönes Beispiel ist für mich ein Forum einer Frauenzeitung, in dem ich immer mal zur Unterhaltung mitlese (selten mitschreibe). Hier werden auch allerhand Beziehungsprobleme gewälzt und was da an Ratschlägen und Diagnosen kommen, kann einem die Haare zu Berge stehen lassen. Z. Bsp. sobald ein Mann mal etwas gestresst nach Hause kommt, einfach schlecht geschlafen hat, vielleicht noch den Bus verpasst hat und so nun der Frau missmuffelig entgegentritt, startet Frau einen Thread. Hier wird ausgewalzt, wie wenig man sich beachtet fühlt und schwupsdiwups – Eheberatung, Therapie, der Mann ist doch manisch depressiv…Und das alles innerhalb weniger Seiten und von völlig fremden Menschen ganz klar analysiert.
Sein Buch „Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen“ habe ich gerade gelesen und kann es allen, die einmal ein interessantes Sachbuch lesen wollen, empfehlen. Ich würde das Buch nicht unterhaltsam nennen, aber man kann es auf alle Fälle gut lesen und die Hintergründe, die Frances darlegt, sind durchaus auch für den Laien interessant. Frances warnt eindringlich vor einer überhandnehmenden Pathologisierung allgemeiner menschlicher Verhaltensweisen und schlägt auch gute Gegenmaßnahmen vor. Schönes Beispiel dabei ist für mich die Trauerarbeit – früher gab es ein Trauerjahr, dass auch optisch (schwarze Kleidung) eingehalten wurde. Heute wird bereits nach wenigen Wochen komplettes Funktionieren erwartet und es gäbe sofort den Rat der Therapie, wenn man nach 6 Monaten noch schwarz tragen würde…